Grafik für die Kurzgeschichte Die Kreuzung

Die Kreuzung – Eine Kurzgeschichte

Meine erste Kurzgeschichte „Die Kreuzung“.

Triggerwarnung: In dieser Geschichte geht es um Toxische Beziehungen.

Du möchtest die Kurzgeschichte lieber in gedruckter Form lesen?

1.140 Wörter

Ich schnappte mir meine Tasche und schritt durch die Haustür, die hinter mir ins Schloss fiel. Ich war festentschlossen. Ich würde nie wieder zurückkehren. Ich ging über den Gartenweg durch das Tor und stellte mich an die Ampelkreuzung. Die Fußgängeranzeige war rot. Ich musste warten.

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In mir machten sich plötzlich Zweifel breit. Sollte ich tatsächlich gehen? Er war doch kein schlechter Kerl. Er war nur manchmal anders. Die anderen kannten ihn einfach nicht so gut wie ich. Ich wusste wie einfühlsam, lieb und aufmerksam er sein konnte. Immer für mich da, wenn ich ihn brauchte.

Bist du dir sicher?, machte sich ein Gedanke in meinem Kopf breit.

Natürlich war ich das und versuchte mich zu erinnern. An eine Situation, in der er mir zuliebe gehandelt hatte. Doch mir fiel keine ein. Musste es auch nicht. Schließlich war es doch normal, dass einem nicht sofort etwas einfiel, wenn man sich erinnern sollte.

Aber mir fiel ein, dass wir damals im Urlaub waren. Das war eine schöne Zeit. Wir waren mit Freunden am Strand. Haben Sehenswürdigkeiten besichtigt.

Und was war dann?, drängten sich erneut Gedanken vor.

Er wollte Marihuana schmuggeln. Wer tat das nicht aus Holland? Ich zuckte mit meinen Schultern und empfand es nicht als schlimm. Sollte er doch machen, wenn er das meinte.

Ja. Aber was genau hat er gemacht?

Ich kniff die Lippen zusammen und erinnerte mich nun genau.

Er ließ mich sein Auto nach Hause fahren. Er hatte mich gefragt, da er noch so müde war. Kein Problem. Sollte er sich ruhig ausruhen. Während wir auf dem Heimweg waren, erzählte er mir dann nebenbei, dass nur derjenige für das Schmuggeln belangt wird, der das Auto fährt. In dem Fall war das ich.

Du hast echt Schwein gehabt.

Ja klar, war halt scheiße, aber wir wurden ja nicht erwischt! Also halb so wild.

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Was ist mit dem einen Mal, als du ihn gefragt hast, ob er dich abends von einer Feier abholt?

Ich überlegte.

Er wollte nicht. Das würde seine Grenze von maximal 30 Minuten Entfernung überschreiten. Er war halt komisch und stand zu seinen Überzeugungen.

Mag sein. Aber wie war es umgekehrt?

Ich hatte nichts dagegen, wenn ich ihn abholen musste.

Nein? Wirklich nicht?

Nein, warum sollte ich auch?

Was hat er denn gesagt, damit du es machst?

Ich biss meine Zähne zusammen. Er hat mich theoretisch erpresst und meine Liebe zu ihm ausgenutzt.

Nur theoretisch?

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Ich schüttelte den Kopf und versuchte meine Gedanken zu verdrängen, die immer wieder in meinen Kopf schossen. Ich wollte einfach nicht daran denken. Ich schämte mich dafür. Ich schämte mich für mich selbst.

Wir haben doch die gleichen Interessen. Zählt das nicht?

Das ist bestimmt schön, oder?

Ja, das war schön.

Ich musste lächeln.

Fast jeden Abend verbrachten wir gemeinsam damit Brettspiele zu spielen.

Hört sich toll an.

Ich nickte, aber wusste, dass in meinem Gedanken Ironie mitschwang. Denn nur in meiner Vorstellung war es schön. Die Realität sah anders aus. Jedes Mal wurde ich fertig gemacht. Ich wurde als dumm bezeichnet und ausgelacht.

Er ist einfach ein schlechter Gewinner, erklärte ich mir.
Vermutlich.

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Aber wir wohnen doch zusammen in diesem schönen Haus.

Ich blickte hinter mich.

Schau einmal genau hin.

Ich tat es. Ich schaute zu der Wiese, die hinter dem Gartentor lag. Wenn man sie überflog, dann sah sie gepflegt aus. Doch betrachtete man sie genauer, dann fiel auf, dass dort keine Blumen blühten. Es wuchs Unkraut zwischen den Rillen der Pflastersteine. Es war alles andere als gepflegt. Die Haustür war schon alt und öffnete sich nicht mehr richtig. Die Fenster waren dreckig.

Na ja, das Äußere sagt ja häufig nichts über das Innere aus.

Das ist richtig.

Ich war zufrieden mit mir, denn ich konnte meine Gedanken für einen kurzen Augenblick verdrängen. Ich drehte mich schon zu dem Haus um und wollte zur Eingangstür gehen, dann pochte es erneut gegen meine Stirn. Wie sieht das Innere denn aus?, fragte es.

Ich atmete tief ein und aus. Sollte das hier ein Verhör werden? Ich dachte trotzdem darüber nach.

In dem Haus war es kühl, keine Farbe an den Wänden, lieblos eingerichtet, unordentlich.

Fühlst du dich dort wirklich wohl?

Ich schüttelte unbewusst den Kopf.

Nein, das tat ich nicht. Ich hasste es dort. Ich hasste den schwarzen Esstisch und die dunklen Möbel, die alles so unfreundlich aussehen ließen. Ich hasste die Couch, die nicht zum Rest der Einrichtung passte. Ich hasste den verdammten Couchtisch, der nur halbfertig war, weil er ihn unbedingt streichen wollte, aber dann keine Lust mehr hatte. Ich hasste den Kräutergarten, den er wollte, aber um den ich mich kümmern musste. Und wenn ich es nicht tat, dann wurde ich angeblafft und beschimpft.

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Aber er hat mich doch geheiratet. Das war doch ein schöner Tag. Ich war glücklich.

Tatsächlich?, fragte die Stimme spitz.

Ja. Er hat doch diese schönen Ringe ausgesucht. Mit Sternenstaub und… Dann zögerte ich.

Nein. Eigentlich war ich es nicht. Am eigentlich glücklichsten Tag meines Lebens war ich alles andere als glücklich gewesen. Meine Familie war nicht dabei, meine Freunde waren nicht dabei. Einige wussten nicht einmal, dass wir an diesem Tag heiraten würden, weil er es für unwichtig empfunden hatte, es ihnen zu erzählen. Das konnte man ja irgendwann machen.

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Ich wurde wütend. So wütend. Ich presste meine Hände zu Fäusten. Sogar das Versprechen, was er mir an diesem Tag gegeben hatte, hatte er gebrochen. ‚In guten, wie in schlechten Tagen‘ hallte es in meinem Kopf wider. Die schlechten Tage kamen. An diesen fiel ich in ein tiefes Loch. Doch anstatt er mir seine Hand reichte, ließ er mich einfach in die Tiefe fallen und warf mir noch vor, wie scheiße es war, dass ich nicht zu ihm hochklettern würde.

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Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln.

Ich drehte mich wieder zur Ampel um. Diese war nach wie vor rot. Ich konnte die Kreuzung nicht überqueren. Aber ich wollte. Ich musste. Ich wollte auf keinen Fall hierbleiben.

Dann sah ich in der Ferne einen Schatten, der näher kam. Er winkte mir zu. Wer war das?

Sieh genau hin.

Und ich tat es.

Ich konnte ein fröhliches Lächeln erkennen und lange braune Haare. Die Person strahlte Wärme aus. Geborgenheit. Vertrauen. Liebe. All das, was ich von ihm nicht bekommen hatte. Nie.

Es war meine Schwester. Sie winkte mich zu sich, um mir zu verdeutlichen, dass ich über die Straße kommen soll. Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht, es ist rot.“, rief ich.

Dann blickte sie nach links und rechts, als sie schließlich die Straße überquerte. War sie verrückt?

Als sie neben mir stand, griff sie meine Hand. Sie zog an dieser. Ein Ruck durchfuhr meinen Körper. Dann blickte ich zu der Ampel. Es war plötzlich grün. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie umgesprungen war. Gemeinsam betraten wir die Straße und auf der anderen Seite sah ich weitere Silhouetten, die im Sonnenlicht auftauchten. Sie lächelten ebenfalls.